„Langsame Heimkehr“, so der Titel, verweist auf Peter Handkes gleichnamigen Roman von 1984. Was Schriftsteller und bildender Künstler gemeinsam haben, ist der subtile Blick auf gesellschaftliche Themen. Liu wuchs einst mit Propagandabildern auf, bevor ihm im Land der brutalen Umbrüche und Aufbrüche die Lust daran verging. Noch als Student kopierte er Cézanne. So wie der Franzose mit dem Pinsel in der Hand und den Mont St. Victoire vor Augen malte, so wollte auch der Chinese die Situationen schildern. Es geht dem Nachgeborenen nicht um einen platten Realismus der Urbanisierung, sondern um das Individuum in einer konkreten, anti-romantischen Welt.
Das Erstaunliche aber ist, wie genau er die Menschen in ihren einschneidenden sozialen Veränderungen in Panoramenbildern festhält. Seine Vorkämpfer sind Courbet und Manet. In Düsseldorf, wo einst die Düsseldorfer Malerschule Triumphe feierte, wirken die figurativen Bilder wie die Rückkehr in längst vergangene Zeiten. Sie kommen allerdings kaum auf einem hohen Kothurn daher, sondern wirken einfühlsam und von hoher malerischer Qualität. In der Kunsthalle, wo Liu Malerei zeigt, gab es seit langem nicht mehr derart brillante Landschafts- und Genrebilder.
„Das Reisen verschafft mir eine größere Leichtigkeit.“
Liu Xiaodong, Maler
Gemeinsam mit dem NRW-Forum Düsseldorf präsentiert die Kunsthalle Düsseldorf die weltweit erste Retrospektive des chinesischen Malers Liu Xiaodong. Die Doppelausstellung
mit dem Titel „Langsame Heimkehr“ zeigt sowohl Malerei als auch Fotografien und Filme des Künstlers, der in China zu den berühmtesten Vertretern der zeitgenössischen Kunst gehört.
In seinem Œuvre zeigt Liu Xiaodong Momente und Geschichten des menschlichen Lebens sowie Situationen und
Landschaften in einer herausragenden Unmittelbarkeit und außergewöhnlichen Empathie. Eine Familie, ein Flüchtlingsboot, Landarbeiter oder das Rotlichtmilieu – seine Motive sind mannigfaltig gewählt und durch lässige Pinselstriche und intensive Farben von großer Lebendigkeit und einem einnehmenden Realismus. Als Künstler engagiert er sich für die uneingeschränkte Vielfalt der Kulturen und die Diversität der Subjektivität, was gelegentlich dazu führte, dass er mit dem System aneckte.
Liu Xiaodong bildet nur ab, was er mit eigenen Augen sieht, mit der eigenen Nase riecht und mit eigenen Ohren hört. Ausgangspunkt jeder Arbeit ist es, Zeit mit den Protagonisten in ihren Lebensumständen vor Ort zu verbringen, bevor er sie porträtiert. Diese partizipative Dimension seiner künstlerischen Praxis, die ihn bereits nach Tibet, Thailand, Japan, Italien, Großbritannien, Kuba, Island, Nepal und Grönland brachte und demnächst auch nach Berlin führt, wird begleitet von Tagebuchnotizen und Fotografien. Zudem entstehen parallel zu seinen Projekten Filme, die sich den unterschiedlichen Themen aus der Perspektive des bewegten Bildes annähern.
Der Künstler begegnet dem Fremden mit größtmöglicher Offenheit, um nicht dem Trug von Klischees oder vorgefertigten Meinungen zu erliegen. Er ist ein Maler des modernen Lebens, der die Frage nach den Bedingungen des Menschseins ebenso zum Thema macht wie die damit direkt verknüpften globalen Themen wie Bevölkerungsverlagerung, Umweltkrise und wirtschaftliche Umwälzung.
Die retrospektive Doppelausstellung „Langsame Heimkehr“ möchte einen Einblick in die enorme Komplexität
des Werkes von Liu Xiaodong geben. Die Kunsthalle liefert hierbei einen Überblick über die Malerei. Das NRW-Forum widmet sich in erster Linie der Fotografie.
Kuratiert wird die Ausstellung von Heinz-Norbert Jocks in Zusammenarbeit mit Alain Bieber und Gregor Jansen.